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Die Suche nach dem Liebestrank Kapitel 1 abgeblitzt
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Leseproben
Valvin
Valvin
Kapitel 1
Valvin blickte hoch, in das üppige Blätterdach des lichtdurchfluteten Waldes. Es raschelte verdächtig. Immer lauter, als ob etwas Großes sehr schnell durch die Baumkronen huschen würde. Blätter zerrissen und Äste brachen wie Streichhölzer. Viel größer und schwerer als ein Vogel, kam es rasend schnell und unaufhaltsam auf ihn zu, um sich dann irgendwo im Geäst zu verbergen. Die Sonne brannte heiß herunter und ließ die Luft über dem Schatten spendenden Laubwald flirrend aufsteigen. Plötzlich sah Valvin einen rötlichen Schatten durch das Dickicht hindurch brechen, dieser schoss senkrecht nach oben, weit über die Baumkronen hinaus. Valvin erblickte ihn für einen kurzen Augenblick in voller Größe, bevor er ihn wieder aus den Augen verlor. Es war eine beinahe menschliche Gestalt. Der Mann wirkte athletisch und trug enge lederne Kleidung, die ein wenig wie eine Panzerung oder eine Ritterrüstung anmutete. Sein Gesicht gegerbt, voll Furchen und rot wie Feuer, eventuell von der übermenschlichen Anstrengung. Auf seiner Stirn erhoben sich zwei gedrehte Hörner, ähnlich dem Geweih einer Antilope. Valvin erschrak und wischte sich ungläubig über die Augen. Er wartete noch immer hinter dem knorrigen alten Stamm, versuchte erst jetzt, die Deckung zu verlassen, um ein wenig mehr zu sehen. Bei dem Versuch bemerkte er jedoch verzweifelt, dass er sich kaum bewegen konnte und ihm jeder Schritt unendlich schwerfiel, so als würden ihn bleierne Gewichte auf der Stelle halten. Zwischen den Blättern hindurch sah Valvin, was dort oben geschah. Der Mann mit dem satanischen Geweih stürzte sich auf eine zweite Gestalt, die irgendwo hoch über den Bäumen in der Luft verharrte, ja beinahe dort schwebte wie eine Wolke. Sie war gleichartig in Leder gewandet und trug vier spitze Hörner auf dem Haupt. Ein Schrei aus einer rauen Kehle drang durch die Baumkronen zu Valvin herunter. „Tatras, komm zur Vernunft!“. Ein greller Blitz zuckte zwischen den Baumstämmen hindurch und verursachte eine tiefe, klaffende Wunde in der Rinde eines Ahornbaumes, in Valvins unmittelbarer Nähe. Valvin sah noch, wie die zweite Kreatur schnell auswich und fluchte. „Verdammt! Niemals Kronon!“ Scheinbar war Tatras ein wenig verletzt. Er taumelte und sank tiefer herab in Richtung Waldboden, kleinere Ästen knackten und rissen ab, ehe Tatras seinen Fall in wenigen Metern Höhe abfangen konnte und jetzt knapp über Valvin in der Luft zum Stehen kam. Valvin konnte in diesem Moment nur beten, dass keiner der beiden teuflischen Gestalten Notiz von ihm nehmen würde. Valvin zuckte zusammen und versteckte sich so gut er konnte hinter dem Stamm, der ihm nur wenig Schutz bot. Tatras war ebenfalls in schwere hautenge Lederpanzerung gekleidet. Valvin konnte sehen wie er mit der rechten Hand einen seltsamen Stein umfasste, aus dessen Inneren viele Sterne zu leuchten begannen. Er schleuderte das schwarze Kleinod in Richtung Kronon hinauf, der nun senkrecht über ihnen, oberhalb der Bäume schwebte. Die Sonne blendete Tatras, wodurch er Kronon nur schemenhaft sehen konnte. Der Stein streifte Kronon an der Schulter, brannte ein Loch in den Schulterpanzer aus Rindsleder und fiel dann wie ein glühender Komet in weitem Bogen zur Erde hinab, wo er tief im Stamm einer Eiche stecken blieb. „Du Narr!“ rief Kronon erzürnt, der immer noch in nicht allzu großer Höhe über ihnen verharrte. Valvin konnte erkennen, wie er dies mit einem verächtlichen, spöttischen Ausdruck auf seinem roten, ledrigen Gesicht tat und die zwei schwarzen, gedrehten Hörner, die auf seiner Stirn thronten glänzten speckig im Sonnenlicht. Tatras hatte wohl erkannt, dass er den Kampf nicht gewinnen konnte und versuchte zu entkommen. Er ließ sich noch weiter nach unten fallen, wobei er so nahe an Valvin vorbei wischte, dass Valvin den Luftzug spüren konnte. Valvin presste sich noch dichter an den Baumstamm und feuchtmodriger Geruch kitzelte seine Sinne. Valvin wagte kaum noch zu atmen, um nicht entdeckt zu werden. Als Tatras spürte, dass Kronon ihm über den Laubkronen des Waldes folgte, drückte er sich mit aller Macht vom Boden ab und wirbelte blitzartig durch das Geäst in die Höhe, weit hinauf über die Baumkronen hinaus, traf den überraschten Kronon dabei mit dem Fuß an der Stirn, so dass dieser benommen in Richtung Waldboden herab taumelte. Kronon landete ein Stück entfernt auf einer kleinen Lichtung auf staubigem Untergrund. Er stand auf und schüttelte sich Schmutz und Sand aus dem ledernen Brustpanzer. „Du bist hier derjenige, der ein Narr ist Kronon! Das Böse sollte besser für immer verschlossen bleiben, denn wir haben es nicht mehr unter Kontrolle!“ Mit diesen Worten schleuderte Tatras einen Fluch auf den am Boden stehenden Kronon, der jedoch völlig unbeeindruckt blieb. Grelle Funken stoben mitten auf Kronons Stirn auseinander, regneten auf das Farnkraut, welches am Rand der Lichtung im Schatten wuchs und auf die umliegenden Bäume, deren ausladende Baumkronen sofort Feuer fingen. Schwelender Rauch breitete sich auf der Lichtung aus, als Kronon zum Gegenschlag ausholte. Hämisches Grinsen umspielte die harten Gesichtszüge Kronons, als er mit einer einzigen wütenden Handbewegung eine der riesigen brennenden Baumkronen am Rand der Lichtung vom Stamm abriss, nach oben gegen den Himmel schleuderte und Tatras damit die Sicht raubte. Unvermittelt und wie aus dem Nichts tauchte er Sekunden später hoch über Tatras auf. Mit unglaublicher Wucht wurde Tatras getroffen und hinab gerissen zu Boden. Erde und Gesteinsbrocken wurden hoch hinauf in die Luft geschleudert und ein riesiger Krater entstand dort, wo Tatras am Boden aufschlug, der tief hinunter führte in die Erde. Sehr tief. Eine nicht enden wollende Weile prasselten Steine und Erde zurück auf den Boden, gerade so als ob es nach einem gigantischen Vulkanausbruch Lava regnen würde. Valvin wartete geduldig hinter seinem Baumstamm, bis sich aufgewirbelter Staub und die Rauchschwaden der langsam erlöschenden Feuer ein wenig verzogen hatten. Kronon war verschwunden. Vermutlich war er der Überzeugung, dass es hier nichts mehr zu tun gab. Die Blätter der Bäume und Farne, die vom Funkenregen getroffen worden waren, glommen noch nach und tauchten die nahe Lichtung in gespenstischen blauen Nebel. Valvin wagte sich langsam vor. Er überlegte, ob er dem tief im Boden liegenden Tatras helfen konnte und schleppte sich hinüber zum Rand des Kraters. Noch immer fiel jeder einzelne Schritt unendlich schwer. Das Loch im Boden war so groß, dass ein Haus hineingepasst hätte und es führte weit hinab ins bodenlose Dunkel. Valvin beugte sich über den Rand, konnte jedoch kaum etwas erkennen. Irgendetwas schillerte dort drunten in türkisenen Farbtönen. Leises Gluckern drang herauf, wie von einem kleinen Gebirgsbach. Trotz der Dunkelheit die dort unten herrschte, erkannte er eine Art Taufbecken. Es war viereckig und an jede seiner Ecken ergoss sich klares, türkisfarbenes Wasser über den Rand hinab, in noch tiefere Tiefen des Erdschlundes. Und etwas funkelte dort, wie winzige Sterne, die aus der Dunkelheit an seine Iris drangen und Valvin an den schwarzen Edelstein erinnerten, den Tatras nach Kronon geschleudert hatte. Valvin hätte vermutet, dass er dort einen verletzten Tatras finden würde, oder zumindest dessen Überreste. Aber ein Wasserbecken mitten im bodenlosen Schlund des Kraters? Von Tatras gab es keine Spur. Und es war tatsächlich auch äußerst unwahrscheinlich, dass er das überlebt haben konnte. Das Knistern der brennenden Farne ließ nach, über Valvin verzog sich langsam der Rauch, als er über sich eine seltsame Präsenz spürte. „Kronon ist zurück!“ schoss ihm dieser eine Gedanke durch den Kopf. Valvin erschrak und duckte sich instinktiv zur Seite, ein Stück weg vom Kraterrand. Und tatsächlich konnte er ihn aus der Bewegung heraus bereits erkennen. Er kam von sehr weit oben herab, war jetzt bereits ziemlich nah und schwebte Augenblicke später mitten über dem Krater. Die Ehrfurcht einflößende Gestalt schien aus dieser Nähe noch gewaltiger. Kronon war muskulös, seine Wangen gegerbt von der Zeit oder vielleicht auch von vielen erbitterten Kämpfen, seine schwarzen Hörner über der roten Stirn knochig und zerkratzt. Kronon schien trotz seiner mächtigen Erscheinung für einen Moment lang nervös zu sein, blickte irritiert oder gar verstört umher, konnte Valvin allerdings aus irgendeinem besonderen Grund nicht entdecken, obwohl er ihm so nahe war. Valvin verhielt sich still und hielt den Atem an. Warum konnte der Satan, oder was immer es war, ihn nicht sehen? Oder war er gar so uninteressant für Kronon, dass er ihn einfach deshalb nicht beachtete? Dann fuhr die satanische Gestalt herum und blickte ihn direkt an. Zornesfalten bildeten sich auf seiner Stirn. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke, ehe es Valvin schwarz vor Augen wurde. Valvin fuhr vor Schreck aus dem Bett empor. Der Morgen dämmerte und schickte den ersten Sonnenstrahl durch den defekten Fensterladen, direkt auf das Bett in dem kleinen Raum und direkt auf Valvins Gesicht. Valvin blinzelte, hielt sich schnell die Hand vor die Augen und verfluchte den kaputten Fensterladen, den sein Onkel schon vor Wochen reparieren lassen wollte. Er kniff sich in den Arm, ließ sich erleichtert auf das Kopfkissen zurückfallen und atmete tief durch. Gottseidank! Es gab keinen Hexer, der ihm nach dem Leben trachtete. Trotzdem war der Traum so realistisch gewesen, dass er noch minutenlang ein beklemmendes Gefühl in der Brust verspürte.
Die beiden Mädchen saßen etwa fünf Meter entfernt von Valvin, am Ende eines langen Eichenholztisches. Sie waren annähernd so alt wie er. Eine von ihnen hatte in Strähnen geflochtenes goldblondes Haar, wundervolle große blaue Augen und sie steckte in einem rosafarbenen Dirndl, was auf einem Allgäuer Dorffest durchaus nichts Ungewöhnliches ist. Die Farben ihrer Tracht korrespondierten wunderbar mit ihrem Haar, so fand Valvin jedenfalls, als er sie voller Bewunderung betrachtete. Die Dorfhalle hingegen war schon hochbetagt, ihr Dach wurde getragen von grob bearbeiteten und von der Zeit gegerbten Baumstämmen, die sich bis weit in den Giebel der Halle hinauf erstreckten. Man hatte den Eindruck, als könne man das Ächzen der morschen und von tiefen Rissen durchzogenen Balken hören. Das große Tor der Halle, die früher eine Scheune gewesen sein musste, war weit geöffnet. Es war Anfang Juli und die Dämmerung war längst in die Nacht übergegangen. Langsam wurde es kühl draußen und so kamen die wenigen Besucher, die es bis um diese Zeit noch ausgehalten hatten, in die Halle herein. Es war immerhin weit nach Mitternacht. Auf der erhöhten Bühne in der Mitte des Raumes saßen sechs in Lederhosen gekleidete Musiker und machten mit ihren Blasinstrumenten noch ordentlich Stimmung. „Blasi´s Buam“ stand auf dem Schlagzeug der Band. Valvin musste schmunzeln. Er hatte das Mädchen mit dem rotblonden Haar schon einige Zeit angestarrt. Und man konnte hierbei durchaus von Anstarren sprechen, weil er selten ein derart hübsches Mädchen gesehen hatte. Als sie es bemerkte und ihm plötzlich einen durchaus freundlichen Blick zuwarf, möglicherweise sogar mit dem Anflug eines Lächelns in ihrem feenhaften Gesicht, fühlte sich Valvin ein wenig ertappt. Und genau in diesem Augenblick, Valvin war schon länger ohne es zu bemerken nervös auf seinem Holzstuhl hin und her gekippelt, verlor er das Gleichgewicht. Die dicken Holzdielen des Fußbodens knarrten und wankten ein wenig, weil weiter vorne auf der Tanzfläche noch heftig getanzt und geschunkelt wurde. Mit einem leisen Knacken, welches bei der lauten Musik natürlich nicht zu hören war, brach ein Stück Holz und der Stuhl rutschte völlig unerwartet nach hinten weg. Blitzartig sprang Valvin auf, um nicht mitsamt dem Stuhl unter dem Tisch zu landen. Das rustikale Sitzmöbel drehte sich auf dem letzten ihm verbliebenen Standbein einmal um die eigene Achse und landete dann unsanft ein Stück weiter hinten auf den Holzplanken. Immerhin, seine Reflexe funktionierten noch, trotz der fortgeschrittenen Stunde und dem Alkohol des einzigen Bieres, welches er getrunken hatte, und das ihm jetzt langsam zu Kopf stieg. Während er den nun sehr wackeligen Stuhl wieder aufstellte und zurechtrückte, bemerkte er, wie die zwei Mädchen zu ihm herüber blickten und belustigt kicherten. Valvins Gesicht lief knallrot an und fühlte sich urplötzlich ziemlich heiß an. Er fuhr sich verlegen durch das dunkelbraune, mittellange Haar, das er am Abend noch sorgfältig in Form frisiert hatte und welches nun arg zerzaust wirkte. Das war jetzt nicht gerade die „ideale“ Gelegenheit, sie endlich anzusprechen, dennoch wollte Valvin das Mädchen unbedingt kennenlernen und die Situation nicht wieder ungenutzt verstreichen lassen, wie schon so oft in ähnlichen Situationen. Er schlenderte gespielt gelassen zu den Mädchen hinüber und setzte sein allerschönstes Sonntags- Siegergrinsen auf. Sein Magen verkrampfte sich dabei zunehmend. „Hi!“ begann Valvin. Ein wenig zu zaudernd, wie er selbst empfand, räusperte sich und setzte etwas lauter fort: „Seid Ihr vom Nachbardorf? Ich bin erst kürzlich hierhergezogen und…“ Ein böser Blick traf Valvin unvermittelt, wie ein Messerstich, oder der Biss einer tödlichen Giftschlange. Die Freundin der rosa Bedirndelten war ganz offensichtlich wenig angetan von seiner Annäherung, weil er vermutlich bei einer äußerst lebenswichtigen Unterhaltung störte. Sie musterte ihn abschätzend von oben bis unten und verzerrte das Gesicht, als ob sie in eine allzu saure Essiggurke gebissen hätte. Valvins Magen zog sich nun vollends zusammen, als würde man ihn auf dem Postamt mit einer Paketschnur verzurren. „Sorry, wir sind gerade im Gespräch…“fauchte sie hochnäsig und mit sehr schriller Stimme, die sogar in der Lage war, die laute Musik in den Schatten zu stellen, wobei sie das Wort „Gespräch“ bis zur Endlosigkeit dehnte. Das blonde Mädchen in Rosa betrachtete die Szene mit äußerst interessierter Mine, wobei ihre nun geweiteten Pupillen abwechselnd zwischen Valvin und ihrer Freundin hin und her wanderten. Valvin fiel auf, dass sich ihre Haltung ein wenig verkrampfte. Offenbar war ihr die ganze Situation unangenehm. „Ich wollte nur mal Hallo sagen..“ Wieder wurde er von dieser unerträglichen, durchdringenden Stimme unterbrochen. „Siehst du nicht, dass wir..“ Valvin wartete die nächste Unverschämtheit gar nicht erst ab und beugte sich näher zu dem Mädchen in Rosa hinüber, damit sie ihn bei der lauten Musik besser verstehen konnte. „Ich suche meinen Kumpel Marcel, hast du ihn zufällig gesehen? Er wohnt schon länger hier im Dorf, ist etwa so groß wie ich und hat dunkle, ganz kurze Haare.“ Etwas Sinnvolleres kam ihm in diesem Augenblick nicht über die Lippen, womit er ihre Aufmerksamkeit eventuell noch ein wenig länger binden hätte können. Die beiden Mädchen sahen sich ratlos an und zuckten mit den Schultern. Die mit der unangenehmen Stimme rollte genervt mit den Augen und verwickelte ihre Freundin dann sofort wieder in das „lebenswichtige“ Gespräch, welches er unterbrochen hatte. Das Mädchen in Rosa warf ihm noch einen längeren Blick zu und für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl, dass sie etwas sagen wollte, ehe sie sich von ihrer Freundin erneut ablenken ließ. Valvin brach den Versuch erst einmal ab, die Blondine im rosa Dirndl kennen zu lernen, verabschiedete sich mit einer etwas zu lässigen Handbewegung und trat ein paar Schritte vor die Dorfhalle hinaus, um ein wenig Luft zu schnappen. Valvins Kumpel Marcel war vor etwa einer Stunde irgendwo auf dem Fest verschwunden. Er musste sich wohl festgequatscht haben, oder er hatte wieder mal ganz „zufällig“ ein Mädchen kennengelernt, wie es so seine Art war. Von dem großen Grill, der draußen am Vorplatz aufgebaut war, drang noch der Duft von gebratenem Fleisch herüber. Valvins verkrampfter Magen hatte sich wieder etwas beruhigt und knurrte nun ein wenig, als ihm der Geruch in die Nase stieg. Die Holzkohle war fast verglommen, schwacher Rauch stieg noch auf und zog in Richtung des nahen Waldes, dessen dunkle Silhouette sich gegen den Sternenhimmel abhob. Vereinzelt lösten sich Funken aus der Glut. Valvin sah ihnen nach, wie sie scheinbar schwerelos in den Nachthimmel empor tanzten und sich zwischen den funkelnden Sternen verloren, die in dieser Nacht ungewöhnlich hell zu sehen waren. Auf dem Vorplatz waren noch einige junge Männer vom Burschenverein dabei, sich im Seilziehen oder Fingerhakeln zu üben. Lautstarke Unterhaltungen wechselten ab mit gepresstem Grunzen, welches man üblicherweise bei derartiger Kraftanstrengung ausstieß. Valvin hätte gerne mitgemacht, allerdings kannte er noch keinen der Burschen aus dem Dorf. Er war erst vor ein paar Monaten hierher zu seinem Onkel Gordian gezogen, nachdem seine Eltern nach Dubai gegangen waren. Sein Vater betreute dort für die nächsten zwei Jahre ein großes Projekt für ein internationales Architekturbüro. Zu seinem Vater hatte er nie ein besonders gutes Verhältnis gehabt und so war er eigentlich ganz froh darüber, jetzt in dem kleinen Haus bei seinem Onkel wohnen zu können. Mit Gordian verstand er sich ziemlich gut, bei ihm hatte er jede Freiheit, und außerdem feierte Valvin sowieso bald seinen 17. Geburtstag. Allerdings war sein Onkel vor ein paar Wochen überstürzt und ohne sich richtig zu verabschieden, nach Tibet abgereist, um dort für das Institut, für das er arbeitete, an Forschungsarbeiten zum Klimawandel mitzuwirken. Sie wollten Probebohrungen am Grund des „Namco“, eines tibetanischen Hochlandsees vornehmen. „See des Himmels“ hatte ihn sein Onkel genannt, den höchstgelegenen See der Welt, inmitten einer weiten Grassteppe. So wohnte Valvin nun seit etwa zwei Monaten allein in dem Häuschen mit dem idyllischen Garten. Und er war ziemlich froh darüber, dass seine Eltern bisher noch nichts davon mitbekommen hatten. Die Stimmen und die Musik aus der Dorfhalle wurden leiser, während Valvin in die Nacht hinausging und noch einige Zeit seinen Gedanken nachhing. „Hatte das blonde Mädchen mit dem rosa Dirndl ihn nun interessiert angeblickt oder nicht?“ Da sein Freund Marcel das Fest bestimmt schon längst in weiblicher Begleitung verlassen hatte und es außerdem schon halb zwei Uhr früh war, beschloss Valvin, nun doch endlich nach Hause zu gehen. Morgen war Samstag und am Vormittag hatte Valvin einen Termin mit einem Makler, den sein Onkel Gordian von Tibet aus beauftragt hatte, um das kleine Haus zu verkaufen. Valvin konnte es gar nicht fassen, dass Gordian sein Häuschen mit dem Garten und den vielen Obstbäumen wirklich verkaufen wollte, in die er so viel Arbeit gesteckt hatte und die ständig Nachschub für seine Einmachgläser lieferten, die er mit viel Liebe jedes Jahr im Herbst mit allerlei Obst füllte. Auch warum er den Verkauf so überstürzt und ausgerechnet von Tibet aus organisieren wollte, war Valvin ein Rätsel. Es war ein relativ weiter Weg von der Gemeindehalle bis zum Haus seines Onkels, das am anderen Ende des Dorfes lag. Langsam schlenderte er die Straße hinunter. Nur wenige Straßenlaternen erhellten hier den Asphalt unter seinen Füßen. Valvin nahm die Abkürzung durch das kleine Wäldchen, die Tannen ragten hier sehr hoch auf und so konnte das Mondlicht konnte kaum mehr durch die Baumwipfel nach unten dringen. Als er endlich die Dorfstraße erreichte, die zum großen Marktplatz mit dem Brunnen führte, kamen plötzlich zwei dunkle Gestalten vor ihm aus einer Seitenstraße heraus. Er sah sie nur von hinten, sie trugen lange, schwarze Kutten mit großen, übergeworfenen Kapuzen. Um die Hüften gebundene Kordeln, die im Schein einer Straßenlaterne golden schimmerten, hielten ihre Kutten über den durchaus als dick zu bezeichnenden Bäuchen zusammen. Valvin dachte spontan an Mönche. Mönche? Hier? Und vor allem um diese nachtschlafende Zeit? In der näheren Umgebung gab es überhaupt kein Kloster. Valvin vernahm von weitem ihre rauchigen Stimmen, konnte jedoch nur wenig von dem verstehen, was sie redeten. Er spitzte die Ohren und lauschte. „Wir müssen es finden, bevor es zu spät ist…“ vernahm er. Allerdings konnte es auch sein dass ihm seine Müdigkeit einen Streich spielte. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte keinen einzigen zusammenhängenden Satz mehr erhaschen. Die beiden Mönche trugen schäbige, abgetragene Sandalen und ihre fülligen Leiber wankten bei jedem Schritt, als sie in Richtung des Marktplatzes davon gingen. Valvin spürte etwas Bedrohliches von ihnen ausgehen, er blieb kurz stehen und fühlte, wie sein Herz von einer Sekunde zur nächsten stärker zu schlagen begann. Valvin fand es irgendwie interessant, herauszufinden was es mit diesen Mönchen auf sich hatte. Er hielt sich im Mond-Schatten einiger hoher Gartenzäune und versuchte den Mönchen in sicherer Entfernung zu folgen. Und obwohl sie eher gemächlich zu gehen schienen und einen sehr unsportlichen Eindruck hinterließen, waren die Gestalten vor ihm so schnell, dass es ihm kaum gelang mit ihnen Schritt zu halten oder sie gar einzuholen. Die Gestalten wechselten die Straßenseite, blieben stehen, schienen etwas zu beobachten und verschwanden für einige Augenblicke hinter mehreren Büschen am Straßenrand, um dann wieder wie aus dem Nichts aufzutauchen. Valvin grübelte nach, was es mit diesen Leuten auf sich haben könnte. Vielleicht waren es verkleidete Einbrecher, die sich diese Maskerade zunutze machten, um über jeden Zweifel erhaben zu sein. Irgendwann verschwammen die Konturen der Mönche, verschmolzen mit den Häusern und den Schatten von Zypressen am Straßenrand. Valvin war wirklich schon sehr müde, deshalb brach er die Verfolgung ab, als er sie schließlich aus den Augen verlor. Gerade als Valvin den Marktplatz erreichte, glaubte er plötzlich den Schatten eines der beiden Mönche in unmittelbarer Nähe zu erkennen. Der Dorfplatz mit dem Brunnen war nur noch wenige Schritte entfernt, Wasser plätscherte leise glucksend über die geschliffenen Granitsteine herab und verstärkte den Eindruck der Stille, die um diese Zeit am Dorfplatz herrschte. Die Mondsichel wurde sporadisch von kleinen Wolken verdeckt, eine Straße weiter wurden plötzlich zwei Katzen aufgeschreckt, begannen durchdringend zu fauchen und jagten mit einer Geschwindigkeit die Straße hinunter, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her. Sie liefen direkt auf Valvin zu, schlängelten sich an seinen Hosenbeinen vorbei, als wollten sie sich hinter ihm verstecken und verschwanden dann flink in den Stockrosenbüschen hinter einem weißen Zaun, der im silbernen Mondlicht gespenstisch glänzte. Was ging hier vor sich? Einige metallene Glieder eines Kettenhemdes blitzten unvermittelt im Mondschein unter einer Kutte hervor und die Klinge eines langen Schwertes warf einen scharfen Reflex des Mondlichtes direkt in seine Pupille. Aus der Dunkelheit einiger Sträucher drangen zwei leuchtende, katzenartige Augen in sein Bewusstsein. Valvin wirbelte herum. Doch da war nichts. Die Gestalt, oder was immer es gewesen war, blieb im Verborgenen. Und dann flog irgendetwas über ihn hinweg. Fast lautlos und nur sichtbar durch den Umstand, dass es den Sternenhimmel über ihm für einen Augenblick verdeckte, stob es zur gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes und ließ sich dort nieder. Valvin konnte nur dessen Bewegung erhaschen, dann verdeckte ihm der steinerne Brunnen die Sicht. Ein gedämpfter Schrei, ähnlich dem Fauchen einer Katze und doch menschlicher, verhallte zwischen den Fassaden der Häuser. War es ein Tier? Eventuell eine Fledermaus? Ein nächtlicher Kampf? Valvin runzelte die Stirn, ging zögerlich Richtung Brunnen und umrundete ihn vorsichtig, doch dort auf der anderen Seite war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Nur die mit Stuck verzierten alten Häuser, die den prächtig herausgeputzten Marktplatz säumten, wie Stein gewordene Beobachter eines mitternächtlichen Theaterstückes. Er streckte eine Hand aus und ließ das kühle Nass, das immerwährend in kleinen Bächen über die Granitsteine des Brunnens rieselte, darüber laufen. Die Lautlosigkeit des Platzes wurde nur durchbrochen vom Plätschern des Wassers und dem regelmäßigen Pochen seines Herzens, das er nun ganz deutlich an der Halsschlagader spürte. Er blickte sich noch eine Weile um, doch alles war so friedlich wie immer. Valvin war sich ganz sicher, es war die Müdigkeit die Ihm eine Narretei spielte. Er nahm mit beiden Händen etwas Wasser vom Brunnen auf, benetzte sein Gesicht damit, um wieder etwas frischer zu werden und seine Gedanken zu ordnen und machte sich weiter auf den Weg nach Hause. Langsam entfernte er sich vom Marktplatz, nicht ohne sich noch ein paar Mal umzusehen. Gähnend und unglaublich müde schlenderte Valvin vorbei am Cafe „Hasenschaukel“ und dann die lange Allee hinauf in die Siedlung, in der das alte Häuschen seines Onkels stand, ganz in der Nähe von ein paar schicken Villen, die dort vor kurzem gebaut worden waren. Das Mädchen mit den blonden Haaren und den blauen Augen drängte sich nun wieder in sein Bewusstsein und wollte ihm, bis er die Haustüre erreichte, nicht mehr aus dem Kopf gehen. Als er die quietschende Holztür aufschloss war es weit nach zwei Uhr früh. Er ging hinauf in den ersten Stock, wo sich sein Schlafzimmer befand, ließ sich auf das einfache Bett fallen und schlief kurz darauf völlig erschöpft ein. *** In dieser Nacht träumte Valvin von Hasen. Es waren allerdings keine normalen Hasen, sondern sie hatten allesamt langes, zu Zöpfen geflochtenes, blondes Haar. Einer der Hasen schaukelte auf einer Seilschaukel, deren aus Hanf verwobenes Seil so dick war wie Oberarme, über einem riesigen, bronzenen Taufbecken, aus dem sich Sturzbäche aus türkisfarbenem Wasser an seinen vier Ecken über den Rand ergossen. Viele grelle Funken stoben plötzlich aus den Wassern empor, als ob das Universum aus der Taufe gehoben würde. Dann entstanden daraus viele kleine Kugeln, die wiederum um andere Kugeln kreisten, manche sahen aus wie bunte Glasmurmeln, sie wurden größer und größer, manche leuchteten bald gleißend hell, andere waren dunkel, fast schwarz, oder mit blauem Wasser bedeckt und wurden bald waren sie so riesig, dass man mit bloßem Auge nicht mehr von einem Ende zum anderen sehen konnte. Und dann wurde es zwischen den einzelnen Erdkugeln kalt und finster. Der Wind pfiff durch Valvins Haar, während er krampfhaft versuchte, sich an einem dicken glitschigen Balken fest zu halten, der dort vor ihm auftauchte, um nicht von der Barke fort gerissen zu werden, die in arger Schieflage war und die durch schwere Sturmwolken von einem Globus zum nächsten driftete. Winzige Eiskristalle prasselten schmerzhaft auf seine Haut, während das kleine Boot immer weiter nach unten sackte. Eine mächtige Erschütterung ließ ihn den Halt verlieren. Valvin taumelte. Das Letzte was er sah, war eine Turmspitze und lange Mauern mit Zinnen, die weit in die Tiefe führten und irgendwo dort unten zwischen grünen Gärten endeten. Und das Gesicht seines Onkels Gordian. Valvin fuhr vor Schreck aus dem Bett hoch. Was für ein Albtraum! – Schon wieder? Er lag quer auf dem Bett, sein Kopf hing unbequem über die Bettkante hinunter und auf seiner Stirn hatten sich eiskalte Schweißperlen gebildet. „Kein Wunder.“ dachte Valvin und rieb sich den schmerzenden Nacken. Das mit den Albträumen musste endlich aufhören. Er schielte zu dem kaputten Fensterladen hinüber, der die Sonne fast täglich dazu einlud, ihn zu wecken und zog mit den Lippen eine missmutige Schnute.