Kapitel 12
(Auszüge)
Kapitel 12
Valvin als Dämon
(1. Auszug)
Kapitel 12
Valvin als Dämon
(2. Auszug)
Kapitel 1
(Fortsetzung)
„Geil, Herzkirschen!“ Marcel klimperte irgendwo zwischen den langen Regalen mit einigen
Gläsern herum und fuhr dann fort.
„Weißt du, du nimmst das viel zu ernst! Du musst etwas lockerer werden.“
„Möglich.“
„Hier leuchtet etwas!“
„Hm.“ Valvin achtete nicht auf Marcels lauten Ausruf, klappte gerade eines der entnommenen
Bücher auf und war völlig fasziniert von den mit dünnem Federkiel gemalten Schriftzeichen.
Auf dem Einband eines anderen Buches las Valvin „legere magia avite“. „Sammlung uralter
Zauber?“ murmelte er leise vor sich hin und schlug die erste Seite auf, wodurch einige Seiten
zerfielen.
„Ok, ich glaube dir, das mit den Kobolden. Sieh mal hierher!“ die Stimme von Marcel drang nun
doch etwas lauter und aufgeregter von irgendwo zwischen den Gläsern an seine Ohren.
„Ja, ist schon gut.“ wiegelte Valvin ab.
„Nein, ich meine es ernst, schau bitte mal her!“
Neugierig geworden legte Valvin die Bücher auf dem Tisch ab und lugte in eine der Regalreihen
in der hintersten Ecke des Kellers, an deren Ende er Marcel vermutete.
Marcel sah zu ihm herüber und deutete auf einen schwachen Lichtring mit etwa einem Meter
Durchmesser am Boden, in dessen Zentrum ein rötlicher Pilz stand.
„Wow. Wo hat dein Onkel denn dieses Ding gefunden?“
Valvin kam näher und betrachtete die seltsame Szene. Das Sporengewächs dort am Boden war
etwa so hoch wie zwei Einmachgläser, wenn man sie übereinanderstapelt und es hatte einen
sehr dünnen Stil, auf dem eine kleine, glockenförmige Kappe thronte. Das Licht schien aus den
Lamellen unterhalb der Pilzkappe zu kommen und überzog den staubigen Boden des Kellers
ringförmig mit einem matten, blauen Schimmer.
„Unglaublich. Das muss der Lichtring sein, von dem die Kobolde gesprochen haben.“
„Es gibt zwar fluoreszierende Pilze, aber die leuchten niemals so hell wie das hier.“ warf Marcel
ein.
„Sieht aus wie ein Helmling, nur viel größer.“ Valvin ging in die Knie und berührte die Kappe
vorsichtig mit dem Finger. Sie fühlte sich merkwürdig an, worauf er seine Hand sofort wieder
zurück zog.
„Mein Onkel sammelt gelegentlich Pilze, deshalb kenne ich ein paar davon.“ fügte er erklärend
hinzu, als er die verdutzten Blicke von Marcel bemerkte. Valvin deutete in Richtung der kleinen
Bibliothek.
„In dem Buch „proficisci“, das die Kobolde auf dem Tisch liegen ließen, habe ich eine Zeichnung
dieses Pilzes gesehen.“
Marcel setzte den Zeigefinger mit gespielter Nachdenklichkeit an die Unterlippe „Dann müsste
der Champignon etwas mit Reisen zu tun haben.“
„Du könntest recht haben, das wäre eine Möglichkeit, wie die Kobolde einfach verschwunden
sind. Sie nutzen den seltsamen Pilz zum Reisen. Pilze haben doch ein weit verzweigtes Geflecht,
nicht wahr?“
Valvin ging schnell zurück zum Tisch und blätterte in dem dicken Wälzer, bis er nach einiger Zeit
die Seite mit dem Pilz wiedergefunden hatte.
Marcel kam ebenfalls aus dem Gang und lächelte ein wenig mitleidig ums Eck.
„Valvin, das sollte ein Witz sein! Wie soll das denn bitte funktionieren? Reisen mit einem
Champignon?“
Valvin nahm das Buch hoch und deutete auf das Pergament. „Hier, unter dem Pilz steht ein
Spruch - ianus asperire limes“
„Der Gott des Eingangs soll die Grenze öffnen?“ übersetzte Marcel nach einigem Nachdenken
frei. „Klingt ziemlich schräg, wenn Du mich fragst, aber vielleicht interpretiere ich es ja völlig
falsch.“ fügte er ein wenig höhnisch hinzu. „Ach übrigens, wer hat denn die ganzen alten Bücher
hier gesammelt, Dein Onkel etwa?“
„Wir probieren es einfach aus!“ Valvin hatte keine Lust auf Marcels Frage einzugehen, er riss die
Seite mit dem Pilz aus dem Buch und ging wieder zwischen die Regale.
***
Was Valvin nicht sah, dass sich die handtellergroße Kappe des Pilzes ein wenig anhob und
darunter zwei kleine Augen hervorquollen. Der Pilz streckte sich und wurde ein wenig größer,
kaum merklich, aber gerade so viel, dass er durch die Regale hindurch die mit Filzstift seitlich auf
die Pizzaschachtel hin gekritzelte Schrift lesen konnte.
„Immer müssen sie Funghi essen.“ raunzte das Sporengewächs und zog die Kappe wieder tiefer
über die Augen.
***
Als er den Gang wieder betrat, kam es Valvin so vor, als würde das Licht aus den Lamellen des
Pilzes ein wenig heller leuchten als zuvor. Er kniete sich in den Staub und flüsterte „Ianus
asperire limes“ .
„Das ist lächerlich!“ hörte er Marcel aus sicherer Entfernung nörgeln. Mit einem lauten „Plopp“
öffnete Marcel den Bügelverschluss eines der Einmachgläser. „Sehen appetitlich aus, die
Mirabellen!“ Er griff mit den Fingern hinein und holte eine aus dem Glas, um zu kosten.
„Vielleicht kannst du später mit den Gurken dort zum Mond fliegen.“
Valvin ließ sich nicht irritieren und wiederholte den Zauberspruch. Der Lichtring schien einige
Male kaum merklich zu flackern, leuchtete dann heller. Valvin blickte wieder auf die
herausgerissene Buchseite und studierte den Text. Ob er vielleicht einen Fehler beim
Aussprechen gemacht hatte? Er wendete die Seite und sah dort noch einige andere Pilze
abgebildet, Kartoffelboviste, Trompetenpilze und ähnliche. Schließlich erhob er sich entmutigt
und ging zurück zum Tisch.
„Wohin?“
„Was heißt, wohin?“ fragte er Marcel, der dort sichtlich gelangweilt saß, die Füße auf dem Tisch
abgelegt, scheinbar ahnungslos in dem tiefschwarzen Buch blätterte und den Mund voller
leckerer Mirabellen hatte. Marcel blickte hoch. „Was meinst du?“ schmatze er. „Ich habe nichts
gesagt.“
„Wenn du nichts gesagt hast, Marcel, dann…“ Valvin wirbelte herum und lief zwischen die
Regale zurück.
„Zu Konfusius“ kam es Valvin zuerst in den Sinn, zu Konfusius wollte die lilafarbene
Elefantendame und die Pizza-Botin hatte etwas erwähnt, dass „sie“, wer auch immer das war,
zum Dorf „Malcoon“ unterwegs waren. Und auf einer Buchseite hatte er vom Land „Shaicoon“
gelesen, in dem die Kräuter wuchsen, die für sämtliche Liebeszauber gebraucht wurden. Ja, das
war es! Wenn es tatsächlich der Pilz war, der nach dem Reiseziel gefragt hatte und kein Scherz
von Marcel? Keuchend stand er vor dem Pilz.
„Nach Shaicoon!“ sprudelte es aus ihm heraus, ohne noch darüber nachzudenken, was für
Folgen seine Entscheidung haben könnte. Er hörte Marcel im Hintergrund noch spöttisch
kichern, als sich plötzlich etwas veränderte.
Mit einem Mal wuchs der Pilz, bis seine rötliche Kappe die Kellerdecke erreichte und sich wie ein
Regenschirm über den Regalen ausbreitete. Der schmale Stiel wurde breiter und breiter, teilte
sich plötzlich in tausende dünner Fäden, fächerte sich in viele feine Fasern auf, die von innen zu
leuchten begannen und die dann einen großen, bauchigen Pavillon um den Lichtring am Boden
bildeten. Der Lichtring selbst wurde größer und heller, erstreckte sich nun von einem Regal bis
zum anderen und gab eine runde Öffnung im Boden frei, unter der eine steinerne Treppe
sichtbar wurde, die von hier in die Tiefe führte. Ein wuchtiges, aus weißem Marmor gehauenes
Treppengeländer, das einem Aufgang zu einem Prunkschloss würdig gewesen wäre, quoll ihm
förmlich entgegen. Der Handlauf war so gewaltig, dass man ihn mit der Hand nicht umfassen
konnte. Die vielen in den Stein gemeißelten Schnörkel, die das Geländer verzierten, drückten
sich unangenehm kühl in die Innenseite seiner Hand, als er sie berührte. Marcel war inzwischen
herbeigeeilt, als er das heller werdende Licht zwischen den Regalen bemerkt hatte.
„Respekt!“ frotzelte Marcel, als er nach einer gefühlten Ewigkeit die Fassung wiedererrungen
hatte. Er trat neugierig zu Valvin heran. In seinem nun blassen Gesicht war grenzenloses
Erstaunen zu lesen und das blaue Licht der tausenden von Pilzfasern, die nun einen Eingang
bildeten, spiegelte sich auf seiner Nase.
„Ich wette, dein Onkel ist gar nicht in Tibet, sondern dort unten?“ hauchte er mit offenem
Mund.
„Daran habe ich auch gerade gedacht“ antwortete Valvin. „Er hat aber nie etwas von der
Bibliothek oder diesem Pilz erwähnt!“
„Du willst nicht wirklich dort hinunter gehen, oder?“ Marcel verzog die Mine und wirkte
plötzlich fast ein wenig ängstlich. So kannte er Marcel überhaupt nicht.
„Wenn ich herausfinden will, was hier wirklich los ist und wo sich mein Onkel aufhält, dann
muss ich wohl da hinunter.“
„Vermutlich.“ entgegnete Marcel kleinlaut.
Valvin ging an den leuchtenden Pilzfäden vorbei, die jetzt einen Durchgang zur Treppe offen
ließen und blickte hinab. Die ersten Treppenstufen waren aus schwarzem Granit und sehr steil.
Sie waren in der Mitte abgetreten und sehr glatt, man musste aufpassen, um nicht darauf
auszugleiten. Offensichtlich wurde die Treppe in vergangenen Zeiten häufig benutzt. Valvin
blieb auf der ersten Stufe stehen und sah neugierig hinunter. Von weiter unten kam ebenfalls
ein schwacher Lichtschein herauf und warf interessante Schatten von den prächtigen Geländern
an die Wände eines gigantischen steinernen Treppenhauses.
„Verrückt!“ bemerkte Marcel und drückte damit Valvins Gedanken aus.
„Wer baut unter einem so schäbigen Häuschen eine derartige Treppe?“
„Das würde nur einen Sinn ergeben, wenn an dieser Stelle einmal ein Schloss gestanden hätte.“
antwortete Valvin.
„Oder, sie führt hinunter in ein Schloss.“ strickte Marcel den Gedanken weiter.
„Ja, manchmal muss man sich eben von alten Denkstrukturen lösen!“
Valvin dachte in diesem Moment wieder an Isabella, dem Mädchen im rosa Dirndl. Er verfluchte
sich selbst dafür, dass sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Vielleicht gab es dort
unten ja wirklich Kräuter, mit denen er einen Zaubertrank brauen konnte, so wie es in den
Büchern angedeutet war. Einen Zaubertrank, der ihn unwiderstehlich machen würde?
Welches Geheimnis barg dieser Weg? Führte er zu den Gärten mit den Kräutern, die er im
Traum gesehen hatte, oder gar zu seinem Onkel? Hatten die Mönche etwas damit zu tun, die er
in der Nähe des Marktplatzes auf seltsame Weise aus den Augen verloren hatte? Irgendwie
ergab alles keinen Sinn. Valvins unstillbare Neugier war geweckt. Er musste herausfinden, was
dort unten war, egal ob Marcel nun mitkommen würde oder nicht. Er sah das bläulich
leuchtende Glühwürmchen nicht, das durch den Tumult erwacht war und nun hektisch zwischen
den Einmachgläsern hin und her schwirrte, um sich dann auf einem Glas mit Birnen nieder zu
lassen.
Valvin lief ein Stück in die Richtung, in der sie verschwunden war. Vielleicht hatte sie ihn
entdeckt und war in einen Hauseingang geflüchtet. Oder sie versteckte sich irgendwo, in einer
der vielen kleinen Nischen zwischen den Holzbauten. Valvin atmete ganz flach, um vielleicht
irgendein Geräusch zu hören, das sie verriet. Das einzige war jedoch das Stimmengewirr und die
leise Musik, die vom Festplatz herüberdrang und sich in den vielen Winkeln der Häuser brach. Er
sah sich um, entdeckte ein offenes Gebäude und ging darauf zu. Es war schmal und trotzdem
sehr hoch. Wie überall an den Gebäuden, waren die wenigen Fenster winzig, schwaches Licht
drang durch die geöffnete Türe und warf seltsame Muster auf den Weg heraus.
„Du verfolgst mich heute schon zum zweiten Mal, aber du bist etwas zu langsam.“
Valvin drehte sich herum und sah nach allen Seiten. Er glaubte diese Stimme schon einmal
gehört zu haben. In jedem Fall war es die Stimme einer jungen Frau. Er ging auf die geöffnete
Türe zu und spähte hinein.
Was er dort sah, war tatsächlich eine junge Frau. Sie hatte schwarze mittellange Haare und sie
trug ein schwarzes Kleid mit einem grünen Streifen, der quer über ihren Busen verliefen. Sie
hatte sich an eine Wand gelehnt und sah ihn teils fragend, teils mitleidig an.
Valvin war irritiert.
„Entschuldigung, ich hatte gedacht…“
„Du hattest gedacht du findest hier eine ältere Frau, nicht wahr?“
Diese Aussage verstörte Valvin noch mehr.
„Ja, stimmt. Ich war ihr gefolgt, weil ich sie nach dem Weg fragen wollte. Kennst du sie?“
Erklärte Valvin wahrheitsgemäß und konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Wie war es
möglich, dass die junge Frau das gleiche Kleid trug und die gleiche Frisur hatte. Und woher
kannte er ihre Stimme? Vorsichtig ging er noch ein Stück auf sie zu, um sie im Halbdunkel besser
sehen zu können.
„Für einen Magier bist du extrem unsicher.“
„Ich bin kein Magier!“ Valvin musste lächeln. Er war erstaunt und gleichzeitig geschmeichelt,
dass auch sie ihn für einen Magier hielt. Er kam näher und stand nun direkt vor ihr.
Sie machte eine laszive Handbewegung, wobei sie ihn am Arm berührte und gleichzeitig auf das
Schwert schielte, das oben aus seinem Köcher heraus lugte.
„Du bist doch Valvin?“
Ohne seine Antwort abzuwarten kam sie noch eine Schritt näher und sah ihm in die Augen. Das
Licht in dem Raum, das von einer Öllampe über einem Tisch her rührte, war nicht besonders
hell, aber Valvin konnte erkennen dass sich ihre Pupillen weiteten.
„Ich bin Juleezia. Du hast mich schon heute Morgen beim Baden zwischen den Felsen gesehen.“
Ihr Blick wurde durchdringend.
Valvin erschrak und wich ein wenig zurück.
Wenn es tatsächlich so war, dann musste die junge Frau eine Hexe sein. Das war auch die
Erklärung für ihre plötzliche Verwandlung von einer alten Frau in diese Schönheit, die jetzt vor
ihm stand. Vor Valvins geistigem Auge tauchte das Bild der Fratze in der Felswand auf, seine
Kehle wurde trocken und obwohl er etwas sagen wollte, bekam er keinen einzigen Laut heraus.
Es konnte kein Zweifel bestehen, sie hatte dieselben wunderschönen hellgrünen Augen wie das
Mädchen im Fjord und dieselben Augen wie die ältere Frau auf dem Dorfplatz, der er gefolgt
war. Ein Weilchen stand er so da, als er endlich die Sprache wiederfand. „So langsam bin ich nun
auch wieder nicht. Und ich möchte jetzt wissen, woher du meinen Namen kennst.“
„Doch, du bist viel zu langsam.“ neckt sie ihn, ohne auf seine Frage zu antworten, boxte ihn
freundschaftlich gegen die Schulter und drückte sich mit dem Rücken wieder gegen den Kamin
hinter ihr, der den kleinen Raum beherrschte.
„Ok, du würdest dich wundern.“ Valvin packte schnell ihre Hand, so dass sie sich nicht mehr
losreißen konnte und kam auf sie zu.
Sie machte einen kokettierten Versuch weg zu laufen und lachte. „Dann kannst du mir sicher
helfen von hier weg zu kommen?“
„Warum willst du denn weg von hier und was hindert dich daran zu gehen?“
„Du hast keine Ahnung, nicht wahr?“
„Wovon?“
„Über die Macht der Satane. Ein Fluch lastet auf mir.“ ihre Mine versteinerte sich und ihre
vollen Lippen schienen noch röter zu werden, als sie langsam die Worte formte.
„Kronon hat ihn ausgesprochen, er hat mich verflucht.“ Fuhr sie fort, als sie Valvins fragenden
Blick sah. „Erst wenn ein Unbekannter Jüngling bereit ist mit mir zu kommen und alles
aufzugeben, erst dann wird der Bann gebrochen.“ Sie sah ihn flehend an und nahm nun auch
seine andere Hand. „Du könntest mir helfen von hier fort zu kommen, von diesem schrecklichen
Ort.“
„Naja, hier ist es doch ausgesprochen nett…“ feixte Valvin und ließ seinen Blick erst auf Juleezias
Lippen, dann durch den Raum schweifen. „Und was heißt, alles aufzugeben?“ Valvin versuchte
sich ein Stück von ihr zu lösen, was sie jedoch zu unterbinden versuchte, indem sie seine Hände
fester nahm.
Juleezias Mine versteinerte sich.
„Alles eben.“
Vavlins Kehle schnürte sich nun gänzlich zu.
„Du wolltest dass wir dich sehen, dort oben am See, nicht wahr?“
„Vielleicht?“ Sie warf ihre schwarzen Haare in den Nacken und bot ihren Hals dar.
„Und wohin bist du so schnell verschwunden?“
„Das ist nicht wichtig.“
Sie war nun ganz nahe, so dass Valvin ihren Atem auf seiner Haut spürte. Valvin musste
zugeben, dass sie fantastisch duftete. Irgendwie kam sie immer näher und er verspürte die Lust
ihr in den Nacken zu beißen. Seine Unterlippe berührte ihre Halsschlagader, sie schmeckte noch
ein wenig nach dem Wasser der Fjorde und der Geschmack explodierte förmlich auf seiner
Zunge, als sie sich an ihn drückte. Mit einem Schlag dachte er an Isabella und stieß Juleezia
sanft, aber bestimmt von sich.
„Ich finde dich wirklich sehr nett, aber ich suche meine Isabella.“
Juleezias Gesicht verfinsterte sich, sie atmete nun heftig und ihre Wangen röteten sich,
vermutlich weniger vor Erregung als vor Zorn. Sie hatte wohl nicht mit so einer Reaktion
seinerseits gerechnet.
„Ich würde gerne wissen wo wir die Festung finden, die sich hier ganz in der Nähe befinden soll.
Und ich möchte wissen, woher du eigetnlich meinen Namen kennst?“ Valvin verspürte plötzlich
Ungeduld in sich aufkommen, er wusste das ihm die Zeit davon lief und er sich keinesfalls länger
hier aufhalten sollte, wenn er Isabella rechtzeitig finden wollte.
„Hinter dem Moor zwischen den Hügeln. Sie ist nicht leicht zu finden. Aber was willst du denn
auf der Festung? Dort leben die Handlanger der Satane. Sie morden und stehlen. Das ist kein Ort
für dich!“
Zum ersten Mal bemerkte Valvin eine unsichere Regung in Juleezias hochnäsigem Gesicht.
Offenbar war ihr die Festung nicht ganz geheuer.
„Ich suche meinen verschwundenen Onkel. Außerdem ist meine…“ Valvin stockte, und
verbesserte sich dann. „Eine gute Freundin entführt worden. Ihr Name ist Isabella. Ich habe
Hinweise darauf, dass sie von einem Ritter dorthin gebracht wurde.“
Juleezia stand nun wieder ganz nah bei ihm und fixierte ihn. Valvin war sich jetzt ganz sicher,
eine Hexerin vor sich zu haben. Trotzdem fühlte er sich immer noch wie magisch von ihr
angezogen.
„Hast du vielleicht den Reiter gesehen der sie hierhergebracht hat? Ich würde sogar sein Pferd
erkennen, wenn ich es sehe.“ Juleezia musterte ihn abschätzend ehe sie ihm antwortete.
„Sie sind noch nicht hier, sondern ein ganzes Stück von Malcoon entfernt.“ Sie neigte ihren Kopf
„Ich meine die Reiter, die du suchst!“
Juleezias versucht jetzt ihre Stimme wieder ganz sanft und beruhigenden klingen zu lasse,
dennoch hatte sie einen drohenden Unterton.
„Woher willst du das wissen?“ fragte Valvin. Juleezia lachte hell auf, gab ihm aber keine
Antwort, sondern schloss ihre Augen.
„Du weißt, dass deine Isabella vergeben ist, oder?“
Sie schlug ihre Augen wieder auf, die nun kühl und unnahbar wirkten, wie ein eiskalter
Gebirgssee und sie beobachtete seine Reaktion genau.
Ja, Valvin wusste dass Isabella vergeben war. Zumindest hatte sie ihm das so gesagt. Es
schmerzte, auch in diesem Augenblick und er wollte dieses Thema keinesfalls mit Juleezia
erörtern. „Es tut mir leid Juleezia.“ war das einzige, das ihm dazu einfiel.
„Valvin, Du bist ein Dummkopf!“
Juleezias Brustkorb hob und senkte sich nun schnell, so heftig atmete sie.
Valvin überlegte einen Moment, ob es klug war, eine Hexerin gegen sich aufzubringen, aber er
hatte keine andere Wahl. „Wenn dich die Satane auf der Festung finden, ist das dein Ende. Aber
soweit wirst du gar nicht erst kommen, glaub mir!“
Juleezias Stimme hatte nun alle Freundlichkeit verloren, sie hob ihren Kopf, riss sich von ihm los
und huschte vorbei, in die sternenklare Nacht hinaus.
Valvin war klar, dass er gar nicht zu versuchen brauchte, sie einzuholen. Vor seinem geistigen
Auge tauchte die Fratze auf, die Juleezia in der Felswand hinterlassen hatte, als sie bei ihrer
ersten Begegnung entschwand. Nachdem er sich umdrehte und auf den Steg hinaustrat, war sie
bereits fort. Leises Gluckern unter seinen Füßen deutete darauf hin, dass er sich jetzt in dem Teil
des Dorfes befand, der auf Pfählen in den See hinein gebaut worden war. Aus Richtung des
Dorfplatzes waren auf einmal aufgeregte Männerstimmen zu hören. Valvin hörte sie rasch
näherkommen. Sie suchten eindeutig nach etwas, oder nach jemanden.
Hin und wieder waren Wortfetzten zu hören und Valvin konnte sich in etwa zusammenreimen,
was sie sagten.
„Er hat das Mädchen bei sich, dieser Verräter.“ war noch das freundlichste, das er zwischen
lautem Trampeln auf den Holzstegen vernahm. Valvin schlussfolgerte, dass sie ihn mit Marcel
verwechselten und nun glaubten, dass er, Valvin, das Mädchen auf dem Dorfplatz angesprochen
und wohl „entführt“ hatte. Er war immer noch ärgerlich auf Marcel. Warum musste er
ausgerechnet in der jetzigen Lage mit einem Mädchen aus dem Dorf Malcoon flirten und ihn
damit in noch größere Bedrängnis bringen. Jetzt, wo er seine Hilfe so dringend gebraucht hätte.
Einerseits tat es Valvin leid, dass er sich mit Marcel gestritten hatte, er wusste dass Marcel es
nicht böse gemeint hatte. Andererseits war er immer noch wütend, denn er war es, der die
Situation jetzt ausbaden durfte.
Zwischen den Häusern konnte Valvin nun bereits einige der Kreaturen sehen, die ihn verfolgten.
Die brennenden Fackeln die sie bei sich hatten, warfen ihre langen, teils gebeugt gehenden
Schatten an die hölzernen Hauswände und erschufen dort bizarre Gebilde, die nach Dämonen
und Geistern aussahen.
Kronon erhob seinen Kopf mit den gedrehten Hörnern über der Stirn und sah aus dem Fenster,
dessen teils farbige Gläser sich in spitzem Bogen bis hinauf an die hohe Decke erstreckte. Der
orangerote Lichtring, der sich kilometerweit um das in luftiger Höhe über dem Abgrund
schwebende Schloss spannte, spiegelte sich in seinen Pupillen wider. Prokhor betrat in diesem
Moment den weitläufigen Raum, unter dem Dach des höchsten Turmes.
„Hast du diese Erschütterung des Energieflusses auch wahrgenommen?“ Kronon nickte stumm.
„Ob sie wieder von dem Lichtring kam?“
„Nein Prokohor. Es muss ein mächtiger Zauber gewesen sein, und es kam von der Festung
drüben.“
Kronon zog die Augenbrauen zusammen und sein Blick wirkte noch finsterer als dies ohnehin
der Fall war. Die Scheibe die ihn von draußen trennte begann zu flirren, die Atome und
Moleküle aus denen sie bestand, begannen regelrecht zu beben und zu singen, drohten
allmählich das Kirchenfenster in Stücke zu reißen. Einen Moment später hatte Kronon seinen
Zorn wieder unter Kontrolle.
„Niemand dort unten, weder ein Fürst noch ein Magier, hat die Erlaubnis oder gar die Macht,
einen solchen Zauber zu erzeugen.“
„Es könnte Runarik gewesen sein?“ sinnierte Prokhor, der nun ebenfalls herangetreten war und
in Richtung der Festung hinab blickte.
„Runarik ist durch das Böse umgekommen, in dem Dorf das ich zerstört habe. Runarik war ein
Tor.“ Kronons Stimme blieb hart und emotionslos.
„Bist du dir da absolut sicher? Dass er wirklich umkam, meine ich?“
Prokhor zog die linke Braue nach oben und schien ein wenig ungläubig.
„Außerdem, wenn wir den physischen Teil der Bestie nicht bald finden, haben wir vielleicht in
nächster Zeit ein größeres Problem. Wenn beide Teile des Bösen wieder zusammen kommen,
dann wird unsere Macht in Gefahr sein.“ Prokhor wandte sich mit diesen Worten wieder ab und
begann sein Schwert zu polieren, das er seit zweihundert Jahren nicht mehr einsetzen musste
und nur noch aus purer Eitelkeit bei sich trug.
„Die Mönche die wir entsandt haben sind übrigens erfolglos zurückgekehrt, sie haben keine
Spur von der Bestie gefunden.“
Er steckte das Schwert zurück, während Kronon ihn jetzt argwöhnisch beobachtete. „Ich werde
nachsehen, was dort unten bei der Festung der Fürsten vor sich geht. Ich werde das nicht
dulden.“ Kronon warf Prokhor, der vieles zu gelassen sah, noch einen verächtlichen Blick zu.
Auch Tatras hatte damals den Fehler begangen, zu nachsichtig mit den Fürsten zu sein.
„Wenn die Fürsten uns hintergehen, dann werde ich ihre Festung dem Erdboden gleichmachen.
Und kümmere dich endlich um diesen kleinen Kobold Kardrok, er weiß zu viel!“
Kronon lief die Stufen hinab in den Trakt des Gebäudes, in dem sich die Flugdrachen befanden.
Auch wenn Kronon ohne Hilfsmittel fliegen konnte, so hatten ihn die vielen Reisen der letzten
Tage angestrengt. Vergleichbar mit einem Marathonlauf. Kronon erinnerte sich noch an die Zeit
in der alten Magierschule, als er mit der Ausbildung zum Magier begann und diese Fähigkeit
noch nicht erlangt hatte. Er dachte nicht gerne an diese Tage zurück.
In letzter Zeit verschwand der Ring aus Licht des Öfteren, er flackerte oder war zeitweise sogar
ganz verschwunden und lieferte dadurch weniger Energie um das Schloss in dieser Höhe über
dem Abgrund zu halten. Und letztlich, um ihre eigene Energie auf einem Level zu halten, der sie
unsterblich machte. Kronon nahm seinen Sattel und warf ihn über einen der hier kauernden
Flugdrachen, der sofort ehrfürchtig vor ihm in die Knie ging, damit er aufsteigen konnte. Der
Drachen breitete bereitwillig seine Schwingen aus und stürzte sich hinab in die Dunkelheit über
Malcoon.
Prokhor stand noch eine Weile am Fenster, sah hinunter in den Abgrund unter dem Schloss, ehe
er Kronon mit einem Stelzenzauber hinab folgte.
***
Aphelandra sah ihn immer noch entgeistert an, unfähig etwas zu sagen, oder war sie einfach nur
entrüstet? Hatte er einen wunden Punkt getroffen?
Plötzlich waren in der Nähe der Festung Stimmen und das Trampeln von Pferdehufen zu hören.
Ohne den Zauberstab in seiner Hand aus den Augen zu verlieren, wandte sich Valvin um. Am
anderen Ende der Allee, ganz in der Nähe des Haupteinganges kamen Ritter aus dem
angrenzenden Wald, sie unterhielten sich lautstark, manche von ihnen grölten ein Lied, dessen
Text Valvin teilweise sogar verstehen konnte.
„Hast du geliebt im schönen Malcoon, bei den Weibern da wollen wir ruh´n…“ Zwischendurch
durch hört er immer wieder Rufe in französischer Sprache. Valvin erkannte einen Planen Wagen
und etwa zwanzig Pferde mit ihren Reitern, die meisten in schweren Rüstung oder
Kettenhemden.
„Die dunklen Fürsten und Ihre Ritter kommen zurück.“ schoss es Valvin durch den Kopf,
während er den Stimmen lauschte, die durch den Gesang immer wieder an sein Gehör drangen.
„Von dem Dämon ist keine Spur mehr zu sehen!“ rief einer der Reiter in vorderster Reihe.
„Seid ruhig, ihr besoffenen Narren.“ kam eine Stimme aus dem Pulk dahinter.
Valvin war froh, dass er den Troll wieder zum Leben erwecken konnte. Er packte den Zauberstab
des Runarik geschwind in den Köcher, um nicht noch mehr Unheil damit anzurichten und ging in
der Deckung der knorrigen Bäume auf die Festung und die ankommenden Ritter zu. Valvin war
sich bewusst, dass er jetzt handeln musste. Dies war vielleicht die einzige Gelegenheit in die
Festung zu gelangen und herauszufinden wo Isabella geblieben war. Möglicherweise hatte man
sie auf dem Planenwagen versteckt und sie wurde nun in die Festung gebracht?
Er nahm kaum wahr, dass Aphelandra dicht hinter ihm blieb, so sehr konzentrierte er sich auf
die Ankömmlinge. Bis er plötzlich ihren Atem im Nacken spürte.
„Valvin, ich werde nicht eine Horde von Rittern töten, nur um dich wieder aus Schwierigkeiten
zu befreien!“
Der Unterton in ihrer Stimme war warnend. Offensichtlich meinte sie es ernst.
„Sie sind alle betrunken!“ wisperte er leise, um sich nicht zu verraten.
„Nicht alle, nur die einfachen Gemüter!“ flüsterte sie prompt an seinem Ohr.
Im Mondschatten der Bäume erreichten Valvin und Aphelandra nun die Mauern der Festung
und drückten sich gegen die kühlen Steine um nicht in letzter Sekunde noch entdeckt zu
werden. Die ersten Reiter waren gerade noch wenige Meter von ihnen entfernt, sie hatten an
der seitlichen Burgmauer ein Tor geöffnet und führten jetzt die Pferde hindurch, während Valvin
aus seinem Versteck heraus ihren Unterhaltungen lauschte.
„Habt ihr das gesehen Leute?“
„Das war bestimmt Kronon!“
„Seid still, ihr Narren! Ihr müsst ihn nicht heraufbeschwören!“
Plötzlich glaubte Valvin, auf dem Hinterteil eines der Pferde die gerade in das Innere der
Festung geführt wurden, einen kleeblattähnlichen hellen Fleck zu entdecken, kurz bevor das Tier
durch das Tor in der Burg verschwunden war.
Sein Herz begann noch schneller zu schlagen. Dies war das Pferd mit dem Isabella entführt
wurde. Ganz sicher. Also war der Weg hierher nicht umsonst gewesen, irgendwo an diesem Ort
musste sich Isabella aufhalten.
Geführt wurde das Pferd von einem Mönch in Rüstung. Einem Mönch? Da er ihn nur für einen
kurzen Augenblick gesehen hatte, war er sich nicht sicher, ob es wirklich eine Mönchskutte war,
die unter seiner Rüstung hervor lugte. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung gewesen und
die Müdigkeit spielte ihm einen Streich.
Dann fiel es Valvin wie Schuppen von den Augen. Der Mönch! Es war derselbe Mönch den er
damals in der Nähe der Waldlichtung bei der Zeremonie der Kreaturen sah, als Kaldrok ihn zu
dem Platz mit den seltenen Kräutern führte.